Aussage zu Risiko wissenschaftlich korrekt

Fragen, die sich auf kein spezielles Verfahren beziehen.

Aussage zu Risiko wissenschaftlich korrekt

Beitragvon sbeck » Mi 25. Jan 2017, 11:45

Ich arbeite zur Zeit an folgender Fragestellung: Wie hoch ist das Risiko eine Langzeiterkrankung (> 30 Tarbeistage) zu erleiden, anhängig vom Alter des Mitarbeiters.

So würde ich vorgehen: Ich schaue mir die Gruppe der 20-30-jährigen an und werte aus wie viel Prozent der Population an einer Langzeiterkrankung erkrankt sind. Das selbe mache ich nun mit der Gruppe der 55-60 Jährigen.

Angenommen ich habe nun folgendes Ergebnis: 1% der 20-30-jährigen und 5% der 55-65-jährigen leiden an einer Langzeitkrankheit. Kann ich nun folgendes postulieren:

"Das Risiko einer Langzeiterkrankung ist in der Altersgruppe der 55-65-jährigen um das 5-fache höher als das Risiko der Altergruppe der 20-30-jährigen"?

Anmerkungen: Ja, die Einteilung der Gruppen ist willkürlich. Das könnte wissenschaftlich angeprangert werden. Mit einer Regressionsanalyse komme ich hier auch nicht weiter, da ja über 95% der Personen gesund sind und allgemein keine Rückschlüsse vom Alter auf eine Langzeiterkrankung gemacht werden kann.

Leider ist mein Fachgebiet nicht die Medizin, so das ich bisher wenig mit solchen Fragestellungen zu tun hatte. Eventuell gibt es hierzu noch bessere Methoden?
sbeck
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Re: Aussage zu Risiko wissenschaftlich korrekt

Beitragvon bele » Mi 25. Jan 2017, 16:23

sbeck hat geschrieben:Kann ich nun folgendes postulieren:

"Das Risiko einer Langzeiterkrankung ist in der Altersgruppe der 55-65-jährigen um das 5-fache höher als das Risiko der Altergruppe der 20-30-jährigen"?

Wenn Du eine sehr große Zahl von Menschen untersuchst (vielleicht hast Du ja alle AOK-Versicherten als Datensatz?), dann ist das so ok. Wenn Du nur eine kleine Stichprobe hast, bleibt das Satz richtig, kann aber nicht automatisch auf die Gesamtbevölkerung verallgemeinert werden. Dafür könnte man dann nach geeigneten statistischen Verfahren suchen.

sbeck hat geschrieben:Anmerkungen: Ja, die Einteilung der Gruppen ist willkürlich. Das könnte wissenschaftlich angeprangert werden. Mit einer Regressionsanalyse komme ich hier auch nicht weiter, da ja über 95% der Personen gesund sind und allgemein keine Rückschlüsse vom Alter auf eine Langzeiterkrankung gemacht werden kann.

Das verstehe ich nicht. Wenn Du auch die Daten der 30 bis 55jährigen hast oder erheben kannst, dann würde ich zumindest einen Versuch mit einer logistischen Regression machen.

Leider ist mein Fachgebiet nicht die Medizin, so das ich bisher wenig mit solchen Fragestellungen zu tun hatte.

Das denkt man sich bei der Vernachlässigung der möglichen Kofaktoren. Für eine saubere epidemiologische Betrachtung fehlt sicher eine Unterteilung in die beiden häufigsten Geschlechter. Man muss zumindest darüber nachdenken, dass die Menschen verschiedenen Alters verschieden häufig Rauchen und wahrscheinlich unterschiedlich viel Alkohol konsumieren und dass die heute 50jährigen ein anderes Rauchverhalten hatten, als sie 30 waren. Die Chance auf Langzeiterkrankungen wird auch nicht in allen Schichten gleich sein und die Chance auf berufsbedingte Langzeiterkrankungen in einigen Berufen höher als in anderen sein. Mit ein wenig nachdenken, kommt man bestimmt auf weitere nicht-triviale Einflussfaktoren.

Dem gegenüberstellen muss man die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit der Daten und den Zweck der Untersuchung. Dann erst kann man sich an ein Studienkonzept heranarbeiten.

Das Erfassen personalisierter Daten zu medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken erfordert in aller Regel ein Votum der zuständigen Ethikkommission, die wiederum einen ausgereiften Prüfplan sehen will.

LG,
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Re: Aussage zu Risiko wissenschaftlich korrekt

Beitragvon sbeck » Di 31. Jan 2017, 16:38

Wow, das war exakt die Art von Antwort nach der ich gesucht hatte. Vielen Dank!!!!

Noch kurz zur Erklärung / Hintergrund der Untersuchung:

Ich stimme dir 100%ig zu wenn du schreibst, dass man alleine durch den Faktor "Alter" nicht auf ein bestimmtes Risiko schliessen kann. Deswegen bin ich bei der Formulierung der Interpretation meiner Ergebnisse extrem vorsichtig. Ich habe eine grosse Fülle von Daten, die ich auswerteten kann /darf. Dies sind Daten aus der Zeiterfassung in grossen / kleinen Firmen (Alter, Geschlecht, Tägliche Arbeits- / Pausenzeiten, Krankheitstage, Urlaubstage, Unfalltage,...) Die Zusammenhänge sind hier extrem komplex und die Auswertung der Daten deswegen nicht einfach.

Ziel der Arbeit ist es herauszufinden ob gewissen Arbeitsmodelle (Gleitzeit, Schichtarbeit, Pausendauer und -häufigkeit, Tätigkeit, HomeOffice) einen EInfluss auf die Gesundheit haben. Die Verbindung mit dem Faktor "Alter" war eher ein Nebenprodukt der Arbeit.

Der Tip mit der logistischen Regression ist übrigens klasse. Auf die Idee bin ich leider nicht gekommen.

Der Stichprobenumfang ist > 6.000, also für meine Grundgesamtheit representativ.

In einem ersten Schritt geht es mir vor allem darum Ideen zu entwickeln wie die Faktoren zusammenhängen könnten. Ich befürchte aber, dass ich im Rahmen meiner Masterarbeit nicht alle Details untersuchen kann, da ich ein Limit von max. 60 Seiten habe...

Besten Dank nochmal für deine Hilfe.
sbeck
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Re: Aussage zu Risiko wissenschaftlich korrekt

Beitragvon bele » Di 31. Jan 2017, 17:19

sbeck hat geschrieben:Wow, das war exakt die Art von Antwort nach der ich gesucht hatte. Vielen Dank!!!!

Das freut mich.

Noch kurz zur Erklärung / Hintergrund der Untersuchung:

sbeck hat geschrieben:Die Zusammenhänge sind hier extrem komplex und die Auswertung der Daten deswegen nicht einfach.

Zum Trost: Wenn Deine Auftraggeber mit medizinischen Daten vertraut sind, dann sind sie das gewöhnt. Niemand erwartet große Datensätze, die wirklich sauber (i.i.d., randomisiert, prospektiv, etc.) sind (ok, Framinham, NaKo und SHIP geben sich größte Mühe, aber das werden immer Ausnahmeerscheinungen bleiben!) und man hat sich daran gewöhnt, dass man auch an ganz einflussreichen Studien, die tatsächlich das praktische ärztliche Handeln determinieren, immer Kritik üben kann. Das ändert nichts daran, dass Du aus Deinem Datensatz das bestmögliche herausholen solltest.

sbeck hat geschrieben:Der Tip mit der logistischen Regression ist übrigens klasse. Auf die Idee bin ich leider nicht gekommen.

Ist ja auch Statistikforum, kein medizinische Methodik-Forum. Darfst Du gerne ohne Zitierung übernehmen ;-)

sbeck hat geschrieben:Der Stichprobenumfang ist > 6.000, also für meine Grundgesamtheit representativ.

Neee, den Satz schreibst Du bitte so nicht in Deine Masterarbeit. Über den Satz denkst Du bitte nochmal ganz genau nach!

sbeck hat geschrieben:In einem ersten Schritt geht es mir vor allem darum Ideen zu entwickeln wie die Faktoren zusammenhängen könnten. Ich befürchte aber, dass ich im Rahmen meiner Masterarbeit nicht alle Details untersuchen kann, da ich ein Limit von max. 60 Seiten habe...

Du kannst bestimmt auch auf 60 Seiten deutlich machen, dass Du viel nachgedacht hast, auch wenn nicht jeder dieser Gedanken auf dem Papier steht.

sbeck hat geschrieben:Besten Dank nochmal für deine Hilfe.

Sehr gerne.

LG,
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