Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Fragen, die sich auf kein spezielles Verfahren beziehen.

Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PeterPan1995 » Fr 24. Apr 2020, 19:57

Hallo zusammen,

ich führe aktuell eine Vollerhebung bei einer Grundgesamtheit von N=120 durch und habe bislang eine Rücklaufquote von 70%.
Dass diese recht hoch ist, liegt daran, dass mir die Grundgesamtheit bzw. die Institution der Teilnehmer bekannt ist.

Da ich davon ausgehe, keinen Rückauf von 100% zu erhalten, stellt sich die Frage der Auswertung der nicht realisierten Vollerhebung.

Schließende Statistik soll man ja nur anwenden, wenn eine Zufallsstichprobe vorliegt, d. h., ich muss herausfinden, ob es sich um
systematische Ausfälle handelt. Doch wie geht man da nun vor? Ich habe dazu kaum Verwertbares gefunden in der Literatur.

Vielleicht hat mir jemand einen Ansatzpunkt?

Danke!
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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PonderStibbons » Fr 24. Apr 2020, 20:49

Wenn Du die n=120 sowieso als Grundgesamtheit betrachtest und nicht als eine (angestrebte) Stichprobe,
warum dann die Überlegungen zur Inferenzstatistik?

Was die Systematik der Ausfälle angeht, hängt es davon ab, ob Du nicht irgendwas über die
Nichtteilnehmer weißt, das Du mit den Teilnehmern vegleichen kannst (Abteilungszugehörigkeit,
Geschlecht, was auch immer).

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PeterPan1995 » Sa 25. Apr 2020, 13:21

Bei der Definition der Grundgesamtheit bin ich mir eben nicht ganz sicher...

Es geht um Schüler der Sekunderstufe 2. In der Regeln werden bei solchen Erhebungen geschichtete Stichproben bzw. Klumpenstichproben
genommen (Klasse -> Klumpen), weil eine Zufallsauswahl von einzelnen Schülern ja viel zu aufwendig wäre (es müssten viel zu viele Schulen kontaktiert werden).

Grundgesamtheiten sollen ja sachlich, zeitlich und räumlich abgegrenzt werden. Deshalb habe ich nur die Schüler einer bestimmten Schule als Grundgesamtheit genommen.
Sonst könnte ich diese ja gar nicht spezifizieren, genaue Listen über alle Schulen liegen mir natürlich nicht vor. Selbst wenn, eine optimale Stichprobengröße könnte ich sowieso
niemals erreichen, der Aufwand (schon allein die Genehmigung der Befragung) wäre im Rahmen einer Master-Thesis nicht zu leisten.

Schulbefragungen stellen strenge Anforderungen an den Datenschutz. Ich darf nur eine bestimmte Schule befragen. Es handelt sich also in keinem Fall um eine
Zufallsstichprobe, sondern immer nur um eine willkürliche Gelegenheitsstichprobe.

Eine nicht realisierte Vollerhebung (wenn ich bei obiger Definition bleiben würde) ist doch auch nur eine Gelegenheitsstichprobe, oder?
D. h., ich prüfe, ob es systematische Verzerrungen zur Grundgesamtheit gibt (Geschlecht, Alter, Klassenstufe), falls nicht, kann ich auch Inferenzstatistik anwenden?

Aber darf ich dann überhaupt Vergleiche zu anderen Untersuchungen anstellen, wenn ich die Grundgesamtheit so eng festlege?

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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PonderStibbons » Sa 25. Apr 2020, 14:05

Du führst also eine Studie an Schülern durch, die Du an einer bestimmten Schule rekrutiert hast.
Es fand dabei teilweise eine Selbstselektion statt. Was grundsätzlich gegen Inferenzstatistik
spräche, wüßte ich nicht auf Anhieb zu sagen. Die Grundgesamtheit, aus der die Stichprobenmitglieder
stammen, hat bestimmte Merkmale, die gegebenenfalls die Generalisierbarkeit der Befunde sehr
einschränken. Muss man halt darüber nachdenken, inwieweit Befunde von z.B. Gymnasiasten in
Reutlingen übertragbar sind auf z.B. Gesamtschüler in Hamburg Veddel. Aber sowas kann man
diskutieren, dafür sollte man sich mit dem Thema, zu dem man eine empirische Studie
an Menschen durchführt, ja auskennen. Den Effekt der Selbstselektion kann man wie gesagt
diskutieren auf Basis empirischer Vergleiche Teilnehmer/Nichtteilnehmer, sofern man dafür
Daten hat, ansonsten muss man begründet mutmaßen. Das eigentliche Problem ist bei dieser
Art Studie, dass die Schüler keine unabhängigen Beobachtungen sind. Sie clustern sich in
Klassen/Kursen/Cliquen.

Mit freundlichen Grüßen

PonderStibbon
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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PeterPan1995 » So 26. Apr 2020, 18:30

PonderStibbons hat geschrieben:Muss man halt darüber nachdenken, inwieweit Befunde von z.B. Gymnasiasten in
Reutlingen übertragbar sind auf z.B. Gesamtschüler in Hamburg Veddel.


Genau diese Übertragbarkeit ist meiner Ansicht nach ja nicht gegeben, aufgrund unterschiedlicher Fächer, Schularten etc. zwischen den Bundesländern.
Diese Überlegung habe ich in der Arbeit bereits angestellt.Ob ich damit richtig liege, weiß ich allerdings nicht.
Die Definition der Grundgesamtheit macht mir immer noch große Schwierigkeiten.

Ich könnte jetzt z. B. ja alle Schüler einer Schulform eines bestimmten Bundeslands als Grundgesamtheit auffassen. Zusätzlich könnte
man über Klassenstufe und Schulfach abgrenzen. Mittels statistischer Vorjahresdaten könnten man in etwa die Größe der Grundgesamtheit
abschätzen.
Aber: Was würde das bringen, wenn ich ohnehin keine repräsentative Stichprobe habe, da ich nur Schüler von einer Schule befragt habe?
Andererseits: Wenn ich die Grundgesamtheit tatsächlich auf eine Schule einschränke (wie ich es eigentlich machen wollte), dann darf ich ja
keinerlei Aussagen tätigen, die über diese Schülergruppe hinausgeht, oder?

Immer wieder lese ich: "Gelegenheitsstichproben taugen nicht für wissenschaftliche Untersuchungen." Dann steht anderswo, dass studentische
Arbeiten sehr oft auf Gelegenheitsstichproben beruhen, weil sich das anders in der Praxis gar nicht umsetzen lässt (nachvollziehbar - finde ich).
Nirgends steht jedoch, wie man sowas auswertet.

Ich suche einfach einen passenden Ansatzpunkt, wie ich meine Daten sinnvoll auswerten und interpretieren kann.
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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PonderStibbons » So 26. Apr 2020, 19:13

Immer wieder lese ich: "Gelegenheitsstichproben taugen nicht für wissenschaftliche Untersuchungen."

Lese ich so gut wie nie. Wer sagt denn das, in welchem Kontext?
Ich suche einfach einen passenden Ansatzpunkt, wie ich meine Daten sinnvoll auswerten und interpretieren kann.

Ganz normal. Selbst wenn Du eine repräsentative Zufallsstichprobe aus
den Schlern aller Schulformen eines Bundeslandes hättest, kann man
nicht zwingend davon ausgehen, dass Ergebnisse auf alle Schüler aller
Bundesländer generalisierbar wären. Wenn es nur um 1 Schule geht,
sind die Spezifika vermutlich ausgeprägter, aber das kann man
wie gesagt darstellen und diskutieren.

Mit freundlichen Grüßen

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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PeterPan1995 » So 26. Apr 2020, 21:39

PonderStibbons hat geschrieben:
Lese ich so gut wie nie. Wer sagt denn das, in welchem Kontext?


Schnell et. al (2018) schreiben in Bezug auf willkürliche Auswahlen: "Da weder die Grundgesamtheit sinnvoll definiert ist, noch vor der Stichprobenziehung für jedes Element der Grundgesamtheit die Auswahlwahrscheinlichkeit angebbar ist, sind willkürliche Auswahlen für wissenschaftliche Zwecke fast immer wertlos."

(Methoden der empirischen Sozialforschung)

Weiter unten schreiben sie in Bezug auf bewusste Auswahlen (Auswahlen nach Gütdünken), dass "... inferenzstatistische Techniken nicht anwendbar" sind.
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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PonderStibbons » So 26. Apr 2020, 23:59

Schnell et. al (2018) schreiben in Bezug auf willkürliche Auswahlen: "Da weder die Grundgesamtheit sinnvoll definiert ist, noch vor der Stichprobenziehung für jedes Element der Grundgesamtheit die Auswahlwahrscheinlichkeit angebbar ist, sind willkürliche Auswahlen für wissenschaftliche Zwecke fast immer wertlos."

Bei Schnell geht es um die Methoden der Markt- und Meinungsforschung.

Wenn Deine Studie eine der Markt- und Meinungsforschung ist, dann
ist dieses Diktum für Dich relevant.

Alas, letzlich ist Dein Gutacher/Abnehmer/Betreuer maßgeblich,
mit ihm musst Du das abklären.

Noch gutes Gelingen!

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Re: Vollerhebung mit 70% Rücklauf auswerten

Beitragvon PeterPan1995 » Mo 27. Apr 2020, 12:43

Ja, ich werde das einfach mal mit dem Betreuer abklären.

Eine letzte Frage habe ich noch:

Wie verhält es sich eigentlich mit Pretest und Hauptuntersuchung bei einer Vollerhebung?
Eigentlich macht es ja Sinn, wenn man die Teilnehmer, die im Pretest befragt wurden, in der Hauptuntersuchung ausklammert.
Aber dann habe ich ja bei der Hauptuntersuchung keine vollständige Grundgesamtheit mehr, oder?

Bei meiner Befragung habe ich einen Testteil dabei. Würde ich jetzt einfach die Teilnehmer aus dem Pretest nochmals befragen,
dann würde das ja eine Verzerrung ergeben.

Bis hierhin vielen Dank für deine Hilfe.
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