von bele » Mi 16. Sep 2015, 22:39
Alle Mathematik ist Abweichung von der Wirklichkeit. Wenn wir einen Apfel und einen Apfel addieren und auf 2 Äpfel kommen, dann ist das ein vereinfachtes Modell von der Wirklichkeit. "Apfel" ist eine Abstraktion von der Wirklichkeit. Tatsächlich sind diese beiden Früchte sehr unterschiedlich voneinander. Sie haben verschiedene Gewichte, verschiedene Formen und ihre Kerne tragen unterschiedliches Erbgut. Die Mathematik kann sie erst bearbeiten, nachdem sie die Wirklichkeit modelliert hat und so tut, als seien das zwei Instanzen derselben Klasse. Reine Mathematik ist gut und schön und unbedeutend. Nützlich ist praktische, angewandte Mathematik dann, wenn sie uns im echten Leben etwas nützt. Sie ist ein Hilfsmittel, dass damit leben muss, dass ihr ein geschöntes Abbild der Wirklichkeit vorgesetzt wird.
Ich teile Deine Bauchschmerzen bei dem Vorgehen und ich teile die Bauchschmerzen Deines Betreuers. Aber dann frag ihn, warum er überhaupt Arbeiten vergibt, in denen Fragebögen mit Summenscores gebildet werden. Das ist doch das Unverantwortliche! Meines Erachtens hast Du zwei Möglichkeiten, mit Deinem Problem umzugehen: Du zitierst in Deiner Arbeit ausgiebig aus Büchern, die das Thema Summenscores kritisch betrachten und verweist auf die große Verbreitung von Fragebögen, die über Summenscores funktionieren. Das macht sehr viel Arbeit bei der Literatursuche, ist viel Text mit vielen Seiten und Du musst damit rechnen, dass dieser Betreuer Dir eine schlechte Note 'reindrückt.
Möglichkeit zwei: Nimm die Herausforderung an. Überleg' Dir, ob es einen anderen Weg gibt, die Fragestellung zu beantworten. Einen auf Ordinalniveau. An welcher Stelle ist die Notwendigkeit aufgetaucht, die Werte der beiden Fragen zu addieren? Kann man die statistische Frage umformulieren und dabei die inhaltliche Frage trotzdem beantworten? Kannst Du vielleicht das Maximum aus den beiden verknüpften Fragen mit der einzelnen Frage vergleichen anstelle des Mittelwertes oder hast Du genug Daten, um zu versuchen, die beiden Fragen im Sinne der Item Response-Theorie miteinander zu einem akzeptablen Score zu verknüpfen den Du dann mit der einzelnen Variable korrelierst. Nicht zuletzt: Nachdem Du Dich das alles gefragt hast solltest Du auch ihn fragen. Klar nervt ihn das, aber wenn er der studierte ist und der Betreuer, dann sollte er einen angemessenen Weg zur Auswertung aufweisen. Auch wenn ihn das nervt,vielleicht merkt er, dass Du seine Einwände ernst nimmst und Dir Mühe gibst.
Für beide Wege würde ich Dir das Buch von Moosbrugger und Kelava ans Herz legen: Es beschreibt leidenschaftslos in einem Buch sowohl die Klassische Testtheorie wie auch die Item Response Theorie (IRT). Es sollte sich also als wertvoller Zitatenschatz für Variante 1 eignen und es eignet sich als erste Einführung in die IRT, mit der Du abschätzen kannst, ob sie für Dein Problem in Frage kommt.
LG,
Bernhard
----
`Oh, you can't help that,' said the Cat: `we're all mad here. I'm mad. You're mad.'
`How do you know I'm mad?' said Alice.
`You must be,' said the Cat, `or you wouldn't have come here.'
(Lewis Carol, Alice in Wonderland)