(Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Univariate Statistik.

(Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon Lilo » Mi 16. Sep 2015, 16:19

Hallo Forum,

das ist jetzt vielleicht etwas akademisch und wird in der Praxis ganz locker gehandhabt, aber ich möchte das jetzt dennoch einmal wissen, was ihr darüber denkt. Also: Da sind diese beiden Items, die ich zu einer Skala zusammenführe, indem ich den Summenscore ermittle und in einer dritten Variable speichere. Ich habe mich für die Summe und nicht für den Mittelwert entschieden, weil es ordinale Items sind und einer meiner Betreuer Mathematiker ist und bei der puren Erwähnung von "ordinal" und "Mittelwert" in einem Satz einen Angst einflößenden Gesichtsausdruck bekommt. So weit so gut. Nun möchte ich die deskr. Maße der zentr. Tendenz gegenüberstellen (n, Median, SD) und muss nun logischerweise feststellen, dass das irgendwie Murks ist, wenn die eine Variable über ein Item operationalisiert wird (Skala 1-4) und die andere Variable ein Summenscore ist (Skala 1-8). Das kann ich doch nicht neben einander legen.

OK, der Ausweg wäre, tatsächlich den Mittelwert zu bilden. Dann bräuchte ich beim nächsten Termin beim Mathematik-Betreuer zwar Ohropax, aber der Skalenanstieg wäre vom Tisch. Aber nein, nun kommt ein neues Problem. Während die unangetastete Variable weiter ordinal bleibt (Median), muss ich bei der gemittelten nun wahrscheinlich das arith. Mittel bilden. Das kann ich doch SCHON WIEDER nicht neben einander legen, menno.

Wie seht ihr das? Mittelwert bilden, Augen zu und durch?

Lilo

P.S. Mal außer Acht gelassen, dass die SD bei ordinalen Daten natürlich streng genommen auch nichts zu suchen hat. *seufz*
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon PonderStibbons » Mi 16. Sep 2015, 16:34

Worin soll denn der Unterschied bestehen? Ob Du sie nur summierst, oder ob Du sie summierst und dann noch durch 2 teilst, bleibt sich doch vollkommen gleich.

Mit freundlichen Grüßen

P.
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon Lilo » Mi 16. Sep 2015, 17:19

PonderStibbons hat geschrieben:Worin soll denn der Unterschied bestehen? Ob Du sie nur summierst, oder ob Du sie summierst und dann noch durch 2 teilst, bleibt sich doch vollkommen gleich.


Nun. Mein Mathe-Betreuer stand eben in meinem Büro und ich erzählte ihm kurz hiervon. Reaktion: "Also ich habe 3 Semester math. Statistik studiert. Das kann heute kaum noch einer vorweisen. Und so etwas wie psychologische Statistik gibt es nicht. Das ist Mathematik. Fertig. Und da gibt es Regeln und Definitionen. Und wenn Sie [ich bin gemeint] mir nun erzählen wollen, dass es bei den Psychos üblich ist, dass die bei ordinalen Daten Mittelwerte bilden oder die Standardabweichung und dann sagen Sie mir, die Literatur macht das auch so und überhaupt kommt ja das gleiche raus, dann sage ich Ihnen, das ist mir egal. Mathematik lässt sich nicht von 'Meinungen' oder 'Ströhmungen' beeinflussen. Dort gibt es Gesetze." Einen Ausweg hat er mir letztlich gelassen. "Schreiben Sie am Anfang einen Absatz, in dem Sie die den Quatsch verdeutlichen. Also dass das mathematischer Blödsinn ist und keine Statistik, aber dass es alle so machen und Sie eben auch. Aber kommen Sie mir bitte nicht mit 'Aber die anderen ...' oder 'Wir haben doch nichts besseres ...'. Die Mathematik ist hierbei absolut unzweideutig. Wer das ignoriert, ..." Und dann kamen noch einige abfällige Bemerkungen über einige Fachgebiete, die ich hier mal weglasse.

Verstehst Du?

Ich finde das ja klasse, dass ihr da alle locker mit umgeht und ganz pragmatisch seid usw. Aber im Moment schwitze ich hier ein wenig. Auf der einen Seite sehe ich die vielen Dissertationen und Publikationen und ganze Fachgebiete, die sich der Statistik bemächtigt haben und sie für ihre Aufgaben nutzen. Und da sich meine Arbeit da irgendwie einfügen soll, nutze ich natürlich die üblichen Vorgehensweisen. Auf der anderen Seite hat er m.E. nicht ganz unrecht. Entweder wir betreiben hier Statistik, dann sollen wir uns aber auch bitte an die Regeln der Mathematik halten. Oder wir machen hier irgend etwas anderes, von dem wir denken, dass es gut ist. Dann sollten wir dafür aber schleunigst einen anderen Namen finden und es nicht "Statistik" nennen.

Gott hab ich's gerade satt. Ich hole mir erst mal 'nen Kaffee. Danke an alle geduldigen Leser.
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon PonderStibbons » Mi 16. Sep 2015, 18:41

Verstehst Du?

Leider nein. Ich schrieb, dass es sich gleich bleibt, ob du nun summierst oder summierst und dann durch 2 teilst. Dass derMathematiker, mit dem dem Du Kontakt hast, das nicht goutiert, war mir bereits bekannt. Ich weiß allerdings nicht, in welcher Weise er relevant ist für die Durchführung Deiner Studie. Dass er womöglich von Psychometriensoviel versteht wie die Kuh vom Fahrradfahren, steht auf einem anderen Blatt.

Ich finde das ja klasse, dass ihr da alle locker mit umgeht und ganz pragmatisch seid usw.

Wie kommst Du denn da jetzt drauf? Zur Behandlung von Likert-Items gibt es eine reichhaltige Literatur von anerkannten Methodikern. Ich für meinen Teil habe wie gesagt nur darauf hinweisen wollen, dass du, wenn du keine Mittelwerte bilden willst, auch gar nicht erst Summen bilden darfst. Geh doch auf Nummer sicher und verwende den Median.

Entweder wir betreiben hier Statistik, dann sollen wir uns aber auch bitte an die Regeln der Mathematik halten.

Anscheinend hat dir der gar schröckliche Mathematiker weiszumachen vermocht, dass Statistik ein Teilgebiet der Mathematik ist. Wie gesagt, vielleicht sollte er sich mehr mit Psychometrie und Messtheorie beschäftigen, bevor er Predigten hält. Aber sei's drum, man kann sich beim hier besprochenen Problem ohne weiteres strikt an die Ordinalskala halten.

Mit freundlichen Grüßen

P.
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon Lilo » Mi 16. Sep 2015, 19:49

Danke für die Antwort. Deine Aussage lese ich in etwa so: Es gibt die Mathematik/mathematische Statistik und es gibt die Psychometrie/math. Psychologie/deskr. Statistik/Empirie. Letztere nutzt zwar math. Formeln, unterliegt aber nicht den strengen math. Regeln der Wahrheit.

Wikipedia hierzu: "[...] es käme nicht darauf an, ob das Skalenniveau „wahr“ sei, sondern ob das Messmodell nützlich ist." (https://de.wikipedia.org/wiki/Psychometrie)

Das haut mich jetzt gerade um. Also noch einmal zum Verständnis: wenn da jetzt ein Herr Pearson/Spearman/Kendall daherkommt, sich eine Formel aus der math. Statistik greift und feststellt "Ach, verdammte Axt. So wie es da steht kommen wir nicht weiter. Lasst uns ruhig mal den Mittelwert von ordinalen Daten bilden." und an dem zuvor math. Modell so lange feilt, bis es "nützlich" ist, dann ist das OK und anerkannt und wird allseits so genutzt, weil Pearson/Spearman/Kendall uva. das in diversen Untersuchungen geprüft haben und es akzeptable Ergebnisse lieferte?

Habe ich das richtig verstanden? Akzeptanzkriterium einer Methode ist nicht die math. Wahrheit sondern deren Nützlichkeit im Sinne einer psych. Messung? Und im Zweifel ist die Nützlichkeit wichtiger als die math. Wahrheit? Wenn dem so ist, verstehe ich einiges.
- Mein math. Betreuer beschwert sich am Thema vorbei, weil es hier gar nicht um Mathematik geht.
- Den Psychos/Sozis/etc. ist die Mathematik egal, weil es ihnen auf ihre Nützlichkeit ankommt.

Falls Du dich gerade wunderst, was da eben so gebebt hat. Das war mein Weltbild der Statistik, was da eben tonnenschwer umgekippt ist. Nun liegen da überall die Trümmer, die ich wieder zu einem neuen Weltbild zusammenfügen muss.

Danke für die Aufklärung. Wow.
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon PonderStibbons » Mi 16. Sep 2015, 20:33

Lilo hat geschrieben: Lasst uns ruhig mal den Mittelwert von ordinalen Daten bilden."

Ich dachte, es geht um Likert-Skalen? Ob sich Pearson ode Kendall dazu geäußert haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Meines Wissens nach wurde aber untersucht, ob bzw. und welchen Umständen es unbedenklich ist, Likert-Items zu summieren. Vielleicht steht in de.wikipedia oder en.wikipedia die eine oder andere Quelle dazu. meiner eigenen Erfahrung nach ergeben sich keine Unterschiede daraus, ob man korrekt den Median nimmt oder hoffnungsvoll die Summe (die man durch die Zahl der Items teilen kann).

Und im Zweifel ist die Nützlichkeit wichtiger als die math. Wahrheit?

Keine Ahnung. Da es in der Mathematik nicht um Wahrheit gehen kann (zumindest laut meiner weiland Matheprofs, aber es leuchtet ja auch unmittelbar ein), kann ich diese Aussage leider nicht so ganz verstehen. Vielleicht steckt ein ganz eigener Begriff von Wahrheit dahinter.

-
Mein math. Betreuer beschwert sich am Thema vorbei, weil es hier gar nicht um Mathematik geht.

Je nun, es geht um Statistik. Ob Mathematiker jenseits von Stochastik so besonders gut darin sind, weiß ich nicht. Könnte natürlich sein.

-
Den Psychos/Sozis/etc. ist die Mathematik egal, weil es ihnen auf ihre Nützlichkeit ankommt.

Das erstere geht aus dem letzteren keineswegs hervor. Eine Varianzzerlegung z.B. geht nicht ohne Mathematik.
Aber zum Beispiel Modellannahmen kann man in der Regel weder beweisen noch widerlegen, man wird sogar davon ausgehen, dass kein Modell korrekt ist, nur manche besser und manche schlecht.

Mit freundlichen Grüßen

P.
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon Lilo » Mi 16. Sep 2015, 21:06

Hm, interessant. Also einerseits Wahrheit im Sinne einer objektiven Logik oder Mathematik (Aristoteles) und andererseits Wahrheit als "Wahrheitsnähe" im Sinne eines vielleicht überlegenen aber niemals endgültig beweisbaren Modells (Popper). Und da die Modelle eben empirisch und nicht logisch überprüft werden (weil das lt. Popper gar nicht geht), sind empirische Methoden nicht zwingend der Logik unterworfen. Das bedeutet zwar nicht, das Empirie unlogisch ist, aber sie muss nicht logisch sein.

Daraus folgt: ordinale Daten zu mitteln ist zwar mathematisch/logisch falsch, aber empirisch/psychometrisch dann korrekt, wenn die Wahrheitsnähe des Modells durch diese Maßnahme zunimmt oder wenigstens nicht beeinträchtigt wird.

Irre.
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Re: (Mittelwert)Vergleich nach Summenscore (ordinal)

Beitragvon bele » Mi 16. Sep 2015, 22:39

Alle Mathematik ist Abweichung von der Wirklichkeit. Wenn wir einen Apfel und einen Apfel addieren und auf 2 Äpfel kommen, dann ist das ein vereinfachtes Modell von der Wirklichkeit. "Apfel" ist eine Abstraktion von der Wirklichkeit. Tatsächlich sind diese beiden Früchte sehr unterschiedlich voneinander. Sie haben verschiedene Gewichte, verschiedene Formen und ihre Kerne tragen unterschiedliches Erbgut. Die Mathematik kann sie erst bearbeiten, nachdem sie die Wirklichkeit modelliert hat und so tut, als seien das zwei Instanzen derselben Klasse. Reine Mathematik ist gut und schön und unbedeutend. Nützlich ist praktische, angewandte Mathematik dann, wenn sie uns im echten Leben etwas nützt. Sie ist ein Hilfsmittel, dass damit leben muss, dass ihr ein geschöntes Abbild der Wirklichkeit vorgesetzt wird.

Ich teile Deine Bauchschmerzen bei dem Vorgehen und ich teile die Bauchschmerzen Deines Betreuers. Aber dann frag ihn, warum er überhaupt Arbeiten vergibt, in denen Fragebögen mit Summenscores gebildet werden. Das ist doch das Unverantwortliche! Meines Erachtens hast Du zwei Möglichkeiten, mit Deinem Problem umzugehen: Du zitierst in Deiner Arbeit ausgiebig aus Büchern, die das Thema Summenscores kritisch betrachten und verweist auf die große Verbreitung von Fragebögen, die über Summenscores funktionieren. Das macht sehr viel Arbeit bei der Literatursuche, ist viel Text mit vielen Seiten und Du musst damit rechnen, dass dieser Betreuer Dir eine schlechte Note 'reindrückt.
Möglichkeit zwei: Nimm die Herausforderung an. Überleg' Dir, ob es einen anderen Weg gibt, die Fragestellung zu beantworten. Einen auf Ordinalniveau. An welcher Stelle ist die Notwendigkeit aufgetaucht, die Werte der beiden Fragen zu addieren? Kann man die statistische Frage umformulieren und dabei die inhaltliche Frage trotzdem beantworten? Kannst Du vielleicht das Maximum aus den beiden verknüpften Fragen mit der einzelnen Frage vergleichen anstelle des Mittelwertes oder hast Du genug Daten, um zu versuchen, die beiden Fragen im Sinne der Item Response-Theorie miteinander zu einem akzeptablen Score zu verknüpfen den Du dann mit der einzelnen Variable korrelierst. Nicht zuletzt: Nachdem Du Dich das alles gefragt hast solltest Du auch ihn fragen. Klar nervt ihn das, aber wenn er der studierte ist und der Betreuer, dann sollte er einen angemessenen Weg zur Auswertung aufweisen. Auch wenn ihn das nervt,vielleicht merkt er, dass Du seine Einwände ernst nimmst und Dir Mühe gibst.

Für beide Wege würde ich Dir das Buch von Moosbrugger und Kelava ans Herz legen: Es beschreibt leidenschaftslos in einem Buch sowohl die Klassische Testtheorie wie auch die Item Response Theorie (IRT). Es sollte sich also als wertvoller Zitatenschatz für Variante 1 eignen und es eignet sich als erste Einführung in die IRT, mit der Du abschätzen kannst, ob sie für Dein Problem in Frage kommt.

LG,
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