Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Fragen, die sich auf kein spezielles Verfahren beziehen.

Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon Doryphoros80 » Fr 22. Jul 2011, 13:19

Ich möchte hier einmal eine Frage stellen, auf die ich auch nach sehr langer Recherche noch immer keine befriedigende Antwort finden konnte - und merkwürdigerweise wird das Problem in der einschlägigen Literatur und entsprechenden Studien nie aufgegriffen.
Angenommen man erstellt eine Inhaltsanalyse des deutschen Fernsehprogramms. Dazu wird das gesamte Programm kategorisiert. Der Einfachheit halber unterscheiden wir einmal nur "Information" und "Unterhaltung". Jede Sendung wird einer der beiden Kategorien zugeschlagen und die Zeitdauer gemessen. Da der Vergleich von Fallzahlen (wie etwa bei Befragungsdaten) in diesem Fall nicht sinnvoll ist (der Anteil der Information kann ja auch bei größerer Fallzahl geringer sein, wenn z.B. in die Kategorie sehr wenige, aber dafür sehr lange Spielfilme fallen).
Gesetzt nun den Fall, ich hätte (anhand einer Zufallstichprobe für ein Jahr) die vier Programme Das Erste, ZDF, RTL und Sat.1 erhoben und stelle nun fest, dass die absoluten zeitlichen Umfänge sowie die prozentualen Anteile der Information am Gesamtprogramm (meiner Stichprobe) sehr unterschiedlich verteilt sind. Wie kann ich nun feststellen, ob diese Unterschiede statistisch signifikant sind?
Das Problem ist: Ich rechne ja nicht mit Fällen (ergo ganzen Zahlen), sondern mit zeitlichen Umfängen (also selbst bei Dezimal"ausgabe" keine ganzen Zahlen). Die einzige Möglichkeit auf die ich bisher gestoßen bin, wäre die, jede Sekunde zu einem Fall zu "machen". Dann hätte man soundsoviele Sekunden (Fälle) Information und soundsoviele Sekunden (Fälle) Unterhaltung. Das Problem hier ist aber - wenn ich es richtig sehe - dass bei einer üblich großen Stichprobe (also mindestens einer Woche = 604.800 Sekunden x vier Sender = 2.419200 "Fälle") allein aufgrund der gigantischen "Fallzahl" jeder Chi²-Test ohnehin Überzufälligkeit ergibt.
Ich würde mich über produktive Beiträge sehr freuen. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich kein Überflieger in Statistik bin (um es ganz diplomatisch auszudrücken). Deshalb wäre es schön, wenn Ihr möglichst anschaulich formuliert, dass auch ein Laie nachvollziehen kann, was gemeint ist. In Statistikvorlesungen und Lehrbüchern erscheinen die meisten Sachen nachvollziehbar, aber dort sind es ja auch immer "normale" Fälle (Versuchspersonen). Die gibt es in Inhaltsanalysen aber ja nicht.
Ich will auch nicht ausschließen, dass ich das Problem völlig falsch betrachte, auch dann wäre ich für den entscheidenden Denkanstoß dankbar.
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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon PonderStibbons » Fr 22. Jul 2011, 13:43

(anhand einer Zufallstichprobe für ein Jahr)
Was präzise ist damit gemeint? Wie werden hier Stichproben gezogen? Was konstituiert einen Fall, und was genau wird pro Fall gemessen? Sind es zufällig ausgewählte Stunden oder gar ganze Tage innerhalb eines Jahres? Oder soll der Satz auf gut Deutsch schlicht heißen, Du wertest 1 komplettes Jahr aus?

Gruß

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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon Doryphoros80 » Fr 22. Jul 2011, 14:06

Das soll heißen, dass die Grundgesamtheit das gesamte Programm von allen vier Programmen innerhalb eines Kalenderjahres ist. Aus diesem Jahr wird dann eine Stichprobe gezogen. Häufiges Verfahren sind hier "künstliche Wochen" (also Montag aus erster Kalenderwoche, Dienstag aus 2. KW, Mittwoch aus 3. KW usw.). Auch ein Zufallsverfahren wäre denkbar. Es werden gelegentlich auch Klumpenstichproben gezogen (zwei Wochen im Frühjar, zwei im Herbst = vierwöchige Stichprobe).
Das Programm jedes in der Stichprobe enthaltenen Tages wird analysiert (Auswahleinheit=24h Programm), Analyseeinheit (=Fall) =Sendung. Für jeden Fall (Sendung) wird erfasst ob es sich a um Information oder b um Unterhaltung handelt. Ebenfalls wird für jede Sendung die Dauer erfasst (hh:mm:ss).
So kann dann gesagt werden (fiktiv), der Unterhaltung macht bei RTL: 75 Prozent, im ZDF 65 Prozent.
Interessieren würde mich, ob ein solcher Unterschied signifikant ist und wie sich das statistisch zeigen lässt.
(Ich will noch dazu sagen: Es handelt sich hier um eine Interessensfrage, nicht um eine Frage zu einer eigenen Arbeit. Ich habe aber häufig mit solchen Daten zu tun und habe 1. selbst schonmal vor dem (im ersten Posting geschilderten) Problem gestanden ohne es lösen zu können und habe auch in keiner einzigen Studie, die mit solchen Programmstichproben arbeitet, Signifikanzangaben vorfinden können).
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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon PonderStibbons » Fr 22. Jul 2011, 14:26

Dann sind die Fälle also anscheinend auf einzelne Tage. Für diese liegt (bspw.) der Anteil an "Unterhaltung" je Sender vor. Das lässt sich sicherlich zwischen Sendern vergleichen.

Im einfachsten Fall käme der nonparametrische Friedman-Test für abhängige Messungen in Betracht. Wurden beispielweise an 30 vollkommen zufällig ausgewählten Tagen die %-Anteile Unterhaltung der 4 Sender ermittelt, wäre es also ein Test mit n=30 und 4 abhängigen Messungen. Paarvergleiche zwischen Sendern wären mit dem Wilcoxon-Vorzeichenrangtest möglich.

Zu klärende Detailfragen wären, welche Verfahren sonst noch für eine Variable "%-Anteil" geeignet sind (bzw. ob man diese Variable für gängige Verfahren wie den Mittelwertsvergleich per ANOVA oder t-Test transformieren sollte), ob man eine ggfls. vorgenommene "Klumpung" der Stichprobe in die Analyse einzubeziehen hat, und ob es sich tatsächlich um unabhängige oder abhängige Messungen handelt (wenn, wie oben angenommen, die analysierten Tage für alle 4 Programme die gleichen sind, dann sind es abhängige Messungen). Außerdem, ob man eine Korrektur für finite Grundgesamtheiten durchführen muss (die Grundgesamtheit beträgt hier ja nur 365 [Tage]).


Gruß

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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon Doryphoros80 » Fr 22. Jul 2011, 15:37

Das ist ein interessanter Gedanke, den ich bei nächster Gelegenheit einmal genauer bedenken muss.
Zwei Nachfragen aber schonmal: Dem ersten Satz fehlt das Verb, ich nehme an du meinst "Dann sind die Fälle also anscheinend auf einzelne Tage" verteilt. ?? (Das ist keine Kritik, sondern eine Nachfrage, damit ich genau nachvollziehen kann, was du meinst.
Die zweite Nachfrage ist weniger eine Frage, als ein mögliches Problem:
Die "Fälle" (also Zeilen in SPSS) sind ja nach wie vor die einzelnen Sendungen, deren zeitlicher Umfang aber erst den Anteil ausmacht. Das ist (jedenfalls wenn man in SPSS bspw. einen Chi²-Test machen wollen würde) ein Hindernis (SPSS "weigert sich"). Verstehe ich dich richtig, dass du jeden "Tag" zu einem Fall machen würdest, der dann das Merkmal "Information" zu X Prozent und das Merkmal "Unterhaltung" zu Y Prozent aufweist? Und diese Verteilung gruppiert nach Sendern vergleichen würdest?
Das ist ein Gedanke, der mir so noch gar nicht gekommen ist. Hauptproblem hier dürfte vielleicht sein, dass in üblichen Inhaltsanalysen das Kategoriensystem natürlich komplexer ausfällt als nur "Information vs. Unterhaltung".
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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon PonderStibbons » Fr 22. Jul 2011, 15:55

"Dann sind die Fälle also anscheinend auf einzelne Tage" verteilt.

Das "auf" ist überzählig. "Fälle" sind die Tage. Diese Tage haben je nach Sender Merkmale wie "145 Minuten Informationssendungen" oder "879 Minuten Unterhaltung". Solche Merkmale kann man vergleichen zwischen Tagen, die zu Sender X gehören und Tagen, welche zu Sender Y gehören.

Gruß

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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon Doryphoros80 » Fr 22. Jul 2011, 19:38

Ok. Wie schon gesagt, sehr spannender Ansatz! :!:
Aber das Problem der üblichen Datenstruktur ist damit nicht gelöst. Denn die Fälle in SPSS sind ja immer noch die einzelnen Sendungen, nicht die Tage. Wobei natürlich für jede Sendung erfasst ist, an welchem Datum sie ausgestrahlt wurde.
Wie würdest du das angehen? :?:

Und wenn man weiter differenzierte Analysen anstellt wird der Ansatz mit den Tagen möglichwerweise (ohne jetzt schon genauer darüber nachgedacht zu haben) problematisch: Angenommen wir wollen erfahren, aus welchen Darstellungsformen sich die "Information" zusammensetzt, dann hätten wir hier bspw. die Unterkategorien "Nachrichtensendung", "Politikmagazin", "Dokumentation", "Reportage", "Sportmagazin", "Sportübertragung" uäm. Dann wäre zunächst einmal die Datengrundlage pro Sender bereits sehr unterschiedlich, wenn im einen Sender mehr Unterhaltungsanteil vorhanden ist. Dann besteht ja der "Tag" aus unterschiedlich viel "Information" mit ihren Subkategorien.
Üblicherweise wird in entsprechenden Studien dann immer ausgewiesen, wie der absolute Umfang von bspw. "Information" innerhalb eines Sender ist und wie sich diese anteilig zusammensetzt. Wie würde man es nun angehen, wenn man herausfinden will, ob die unterschiedliche Zusammensetzung sich signifikant unterscheidet? (Also fiktiv gesagt: ARD viele Dokumentationen und Nachrichten, RTL keine Dokumentationen und sehr wenige Nachrichten).
Wie geht man damit um? Andererseits sind natürlich die Dokus und Nachrichten auch auf die Tage verteilt, dann hätte man 30 Tage, die je Sender unterschiedliche Nachrichtenanteile enthalten. Das könnte man eigentlich analog zu Information testen, wie du oben schon vorgeschlagen hast.
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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon PonderStibbons » Fr 22. Jul 2011, 22:33

Leider sind mir die Datengewinnung und Datenstruktur nach wie vor nicht klar. Bei einer Fingerübung kein Beinbruch, aber ich bevorzuge dann doch konkret existierende Projekte.

Gruß

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Re: Signifikanztests bei Fernsehinhaltsanalysen

Beitragvon Doryphoros80 » Sa 23. Jul 2011, 02:09

Also - vorausgesetzt du möchtest dich immer noch genauer mit der Sache beschätigen - kann ich gern einmal ein paar Beispieldaten zusammenstellen, die die Datenstruktur verdeutlichen. Wie die Daten gewonnen werden erkläre ich dann auch gerne.
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