Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamtheit?

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Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamtheit?

Beitragvon Oliver Weirich » Di 1. Jan 2019, 21:22

Hallo zusammen,

Bekannte von mir haben sehr lange Zeit alle Brutpaare von Vögeln bestimmter Arten in einem bestimmten Gebiet vollständig zu erfassen versucht. Damit haben wir es nicht mehr mit einer Stichprobennahme zu tun, sondern wir kennen tatsächlich die Grundgesamtheiten dieser Arten in diesem Gebiet (von übersehenen Brutpaaren abgesehen).

Zu den Punktwolken der einzelnen Arten kann ich mir Geraden (linearer Zusammenhang) oder Kurven (polynomischer Zusammenhang) anzeigen lassen, die den zeitlichen Trend wiedergeben (Trendlinie in Excel). Diese liefern mir auch die Regressionsgleichung und das Bestimmtheitsmaß.

Hätten meine Bekannten nur Stichproben genommen, müsste ich einen F-Test machen, um zu überprüfen, ob der Zusammenhang zwischen den Jahren auf der x-Achse und den Brutpaaren auf der y-Achse signifikant ist. Ist ein Signifikanztest im beschriebenen Fall überflüssig, weil ich keine Aussagen von Stichproben auf eine Grundgesamtheit übertragen will, sondern lediglich den Trend der vollständig erfassten Grundgesamtheit beschreibe?

Viele Grüße,
Oli
Oliver Weirich
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon Oliver Weirich » Mi 2. Jan 2019, 18:32

Ich habe drüber nachgedacht. Ich glaube, ich muss einen Signifikanztest machen. Zwar ist der gemessene Trend in der Bestandsentwicklung einer Vogelart auch so erkennbar. Es ist aber unklar, ob er tatsächlich von der voranschreitenden Zeit abhing, oder von Zufallsereignissen. Falls der Test signifikant ist, bedeutet das also, dass man die Zeit beliebig oft zurückdrehen könnte, die Entwicklung des Vogelbestands noch mal neu laufen lassen könnte, und in 19 von 20 Fällen ein ähnlicher Trend rauskommen sollte (bei p=5%). Richtig?
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon strukturmarionette » Do 3. Jan 2019, 04:33

Hi,

dass man die Zeit beliebig oft zurückdrehen könnte,

- worum geht es denn konkret fachlich?

Gruß
S.
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon Oliver Weirich » Do 3. Jan 2019, 17:53

Hallo S.,
hast du meinen ersten Beitrag zu diesem Thema gesehen? Mehr weiß ich darüber nicht zu sagen. Meine Bekannten haben einfach nur Brutpaare gezählt. Ohne irgendwelche Hypothesen prüfen zu wollen. Mir geht es allgemein um mein Verständnis des Signifikanzbegriffs und speziell um die Frage, ob ich richtig liege, dass ein Signifikanztest im beschriebenen Fall sinnvoll und gewinnbringend ist.
Gruß,
Oli
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon bele » Di 8. Jan 2019, 11:04

Hallo,

Du hast das richtig verstanden und letztlich ist es eine Frage des Standpunkts: Ein Bauer, der nur wissen will, wieviel Futter er für diesen Winter einlagern muss, den interessiert nur die Zahl der Tiere. Der Biologe, der verstehen will, ob es eine systematische Regel gibt, dass in Biotopen dieser Art Tierpopulationen generell ansteigen würden, der macht einen Signifikanztest. Dafür macht er gedanklich das Experiment, die Zeit beliebig oft zurück zu drehen und beliebig oft den Verlauf der Populationen über die Zeit beobachten zu können.

und in 19 von 20 Fällen ein ähnlicher Trend rauskommen sollte (bei p=5%). Richtig?

Nein. Wenn es keinen systematischen Anstieg über die Zeit geben sollte, dann wäre der hier beobachtete Anstieg nur in weniger als 5% der Fälle zufällig zu beobachten gewesen. Das ist nicht das gleiche.

LG,
Bernhard
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon strukturmarionette » Mi 9. Jan 2019, 00:06

Hi,

Diese liefern mir auch die Regressionsgleichung und das Bestimmtheitsmaß.

- Wie sieht das Modell mit allen Variablen auf der Grundlage der Auszählungen aus?
- Wie sind die statistischen Befunde daraus?

Gruß
S.
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon Oliver Weirich » Fr 11. Jan 2019, 16:14

Hallo Bernhard,
du schreibst:
bele hat geschrieben: Der Biologe, der verstehen will, ob es eine systematische Regel gibt, dass in Biotopen dieser Art Tierpopulationen generell ansteigen würden, der macht einen Signifikanztest.


Ich möchte nur etwas über die Entwicklung im untersuchten Gebiet aussagen und auch nur über den untersuchten Zeitraum. Was davor, danach oder anderswo mit diesen Vogelarten passiert, kann von ganz anderen Rahmenbedingungen abhängen und muss durch andere Untersuchungen gezeigt werden.

Zur Sicherheit frage ich deshalb nochmal: Brauche ich den Signifikanztest auch dann, wenn ich nur über den untersuchten Ort zur untersuchten Zeit etwas aussagen möchte? Ich glaube ja.

Nehmen wir an, die Punktwolke offenbart eine fallende Tendenz. Wenn das Ergebnis nicht signifikant ist, dann heißt es doch, dass es gut möglich ist, dass der negative Trend über die 30 Jahre nur durch einzelne Zufallsereignisse bedingt gewesen sein könnte: Mal war schlechtes Wetter um den Schlupf der Jungvögel, mal kollidierten ungewöhnlich viele Vögel mit Stromleitungen, ein Horstbaum brannte nach Blitzschlag ab... Es hätte unter denselben Rahmenbedingungen mit weniger Pech also genau so gut ein positiver Bestandstrend zustande kommen können. Ein Grund zur Sorge für den Artenschutz und ein Handlungsbedarf wären entsprechend nicht zwingend hieraus abzuleiten.

Wenn der Test hingegen signifikant ist, dann bedeutet es, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Verkettung unglücklicher Zufallsereignisse, sondern eine langfristig wirksame Umweltveränderung hinter dem festgestellten Abwärtstrend steckt. Zum Beispiel könnte die (in anderen Untersuchungen festgestellte) stetige Abnahme des Singvogelbestandes zunehmend zu Nahrungsmangel beim Sperber geführt haben. Falls es doch keine solche stetige nachteilige Umweltveränderung gegeben hätte, würde man - falls man die Zeit zurückdrehen könnte - das gefundene signifikante Ergebnis nur in weniger als 5% der Untersuchungen erhalten. Es wäre also als unwahrscheinlich einzustufen, dass man den Negativtrend nur zufällig erhalten hat und man sollte sich Sorgen machen, was mit den Sperbern im Gebiet passiert ist.

Viele Grüße,
Oli
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon Oliver Weirich » Fr 11. Jan 2019, 16:41

Hallo S.

gerne würde ich ein Worddokument anhängen, in dem alles statistisch Bedeutende zum Sperber und zum Rotmilan zusammengefasst ist. Leider kommt zu meiner Überraschung die Nachricht, dass das Kontingent für Dateianhänge bereits ausgenutzt sei. Meines Wissens hab ich nie was (erfolgreich) angehängt.

Bei der linearen Regression zum Sperber kam z. B. heraus: y=0,6941x+35,358 (y= Anzahl Brutpaare, x= Anzahl der Jahre der laufenden Untersuchung); r-Quadrat=0,6214; p<0,001 (Berechnet mit PSPP, inwiefern dem zu trauen ist, weiß ich nicht.)

Viele Grüße,
Oli
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Re: Signifikanztest bei vollständig erfasster Grundgesamthei

Beitragvon bele » Fr 11. Jan 2019, 17:04

Oliver Weirich hat geschrieben:Zur Sicherheit frage ich deshalb nochmal: Brauche ich den Signifikanztest auch dann, wenn ich nur über den untersuchten Ort zur untersuchten Zeit etwas aussagen möchte?


passt nicht zu Ich glaube ja.

Es hätte unter denselben Rahmenbedingungen mit weniger Pech also genau so gut ein positiver Bestandstrend zustande kommen können.


Mal schreibst Du, dass Dich nur der untersuchte Ort zur untersuchten Zeit interessiert und mal schreibst Du, dass Dich auch interessieren würde, was unter denselben Rahmenbedingungen in irgenwelchen Paralleluniversen auch hätte passieren können.

Der konkrete Ort im konkreten Zeitraum mit den konkret eingetretenen Rahmenbedingungen ist mit deskriptivstatistik ausreichend beschrieben. Systematische Überlegungen über denkbare andere Verläufe erfordern Teststatistik.

Falls es doch keine solche stetige nachteilige Umweltveränderung gegeben hätte, würde man - falls man die Zeit zurückdrehen könnte - das gefundene signifikante Ergebnis nur in weniger als 5% der Untersuchungen erhalten.

Und dieses "hätte" und "würde" umfasst die vielen häufigen unanbhängigen Wiederholungen, die dieser Art von Teststatistik den Namen Frquentismus eingebracht haben.

y=0,6941x+35,358 (y= Anzahl Brutpaare, x= Anzahl der Jahre der laufenden Untersuchung)


Vier Nachkommastellen, die Du mit Anzahl der Beobachtungsjahre multiplizierst? Nach wievielen Jahren wird die vierte Nachkommastelle relevant? Glaubst Du nicht, dass bis dahin Klimaschwankungen, Meteoriteneinschläge, Kontinentalplattenverschiebung und eine Veränderung des Sperber-Genpools eine Vorhersage ohnehin unsinnig machen?
Anders ausgedrückt. In 52 Jahren ist die Zahl der Brutpaare negativ, danach würde ich das Modell an Deiner Stelle nicht mehr anwenden. Die vier Nachkommastellen brauchst Du für diese 50 Jahre sicher nicht.

Berechnet mit PSPP, inwiefern dem zu trauen ist, weiß ich nicht.)


Weiß ich auch nicht. Schau Dir mal JASP an. Das ist ähnlich in der Nutzung, ebenfalls kostenlos, die Berechnungen erfolgen mit dem allgemein anerkannten R und hinter JASP steht eine Universität.

LG,
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