t-test bei ordinalskalierten Daten?

Fragen, die sich auf kein spezielles Verfahren beziehen.

t-test bei ordinalskalierten Daten?

Beitragvon PhilippS28 » Do 24. Sep 2020, 23:43

Hey zusammen,

ich möchte meine 5-Punkte Multi-Item Likert-Skala auswerten. Einige Items wurden selbst hinzugefügt und stammen nicht aus bereits erprobten Skalen.
Eine Stichprobe, n=200, nicht normalverteilt, ordinalskaliert. Cronbachs alpha wurde berechnet, um die Skala "zu validieren".

Nun bin ich am abwägen, ob ein Einstichproben-Wilcoxon-Test oder der Einstichproben t-Test geeigneter wären.

Meine Daten sind ordinalskaliert, dennoch wurde mir von mehreren Seiten geraten den t-Test zu nutzen. Normalverteilung ist nicht gegeben, was aber bei der Sample-Größe vermutlich zu vernachlässigen ist. Liege ich richtig mit der Annahme, dass meine Variablen als ordinalskaliert betrachtet werden müssen, da nicht sicher ist, dass alle Teilnehmer die Abstände als identisch betrachten?

Wenn ja, muss ich dann den Wilcoxon-Test verwenden, weil der t-Test intervallskalierte Variablen benötigt? Oder ist das in diesem Fall egal?

Was meint ihr?

Beste Grüße Phil
PhilippS28
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Re: t-test bei ordinalskalierten Daten?

Beitragvon bele » Fr 25. Sep 2020, 08:00

PhilippS28 hat geschrieben:Liege ich richtig mit der Annahme, dass meine Variablen als ordinalskaliert betrachtet werden müssen, da nicht sicher ist, dass alle Teilnehmer die Abstände als identisch betrachten?


Hallo Phil,

Du liegst richtig, dass die Sache stinkt; Du liegst falsch in der Lokalisation des Problems: Du hast die Werte Deiner vier Items zusammengezählt/addiert, richtig? Das war schon der Sündenfall. "stimme zu" plus "stimme eher zu" ist eine Addition und die ist bei Ordinaldaten unzulässig. Indem man gleiche Abstände unterstellt verändert man das Skalenniveau und das Addieren wird sinnvoll. Wenn Du also mit Summenskalen arbeitest, hast Du die Entscheidung für die Betrachtung der Werte als intervallskaliert schon gefällt. Ich sehe wenig Sinn darin, dann in einem späteren Schritt diese Entscheidung wieder zurückzunehmen. "Es gibt kein richtiges Leben im schlechten" hat Adorno geschrieben (und dabei etwas ganz anderes gemeint).

Wenn Du sauber auf Ordinalskalenniveau bleiben möchtest geht das auch, aber erstens kannst Du große Teile Deines mühsam erworbenen Wissens über klassische Testtheorie (CTT) dann über Bord werfen und musst anfangen, Wissen in probabilistischer Testtheorie (Item Response Theory, IRT) aufzubauen. Das ist etwas mühsam, weil es weniger Literatur zur IRT als zur CTT gibt, aber das traue ich Dir zu. Zweitens aber brauchst Du deutlich mehr Daten, denn wenn Du nicht mehr gleiche Abstände annimmst sondern für jeden Stufenübergang jedes Items "den Abstand" und dessen Messfehler aus den Daten schätzt, dann verbrennt das natürlich Freiheitsgrade.

Google mal nach probabilistic test theory und nach item response theory. Das Testtheoriebuch von Moosbrugger und Kelava stellt beide Varianten, die CTT und die IRT verständlich dar, ist aber nur ein Leseeinstieg. Ich glaube, danach muss man dann zu englischsprachiger Literatur wechseln. Softwareseitig hatte ich den Eindruck, dass R mit dem Zusatzpaket IRTShiny eine sehr benutzerfreundliche grafische Oberfläche bietet, die mindestens eine schnelle erste Analyse eines Fragebogens ermöglicht. Alternativ gibt es mit ShinyItemAnalysis auch ein R und Shiny basiertes Tool, Leseeinstieg hier: https://journal.r-project.org/archive/2 ... 18-074.pdf Eingehend damit gearbeitet oder gar damit publiziert habe ich selbst mit beidem noch nicht. Letztlich erhälst Du damit aber viel tiefere Einblicke in Deine Skala und Du erhälst Probandenscores, deren intervallskaliertheit unstrittig ist.

Hoffentlich bringt das neben zusätzlicher Verwirrung auch etwas Klarheit in der Grundfrage, sonst frag gerne nochmal nach.

LG,
Bernhard
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Re: t-test bei ordinalskalierten Daten?

Beitragvon PhilippS28 » Fr 25. Sep 2020, 11:43

Hey Bernhard,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich denke in diesem Fall gehe ich den einfacheren Weg und werte die Items einzeln mittels des Einstichproben-Wilcoxon-Test aus.

Das bedeutet zwar ein paar untergeordnete Hypothesen mehr, sollte jedoch auch zum Ziel führen und ist bei oridnalskalierten Daten zumindest korrekt oder?

MfG und nochmals vielen Dank, Phil
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Re: t-test bei ordinalskalierten Daten?

Beitragvon PonderStibbons » Fr 25. Sep 2020, 12:07

Wilcoxons Vorzeichenrangtest erfordert Intervallskalenniveau (siehe Ermittlung der Testgrößen bei
diesem Test). Wenn man das nicht annehmen kann, wäre der Einstichproben-Vorzeichentest eine
Option.

Mit freundlichen Grüßen

PonderStibbons
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