STATISTIK-FORUM.de

[Delphi2020]

Hallo zusammen,

meine Frage mag einigen User*innen hier etwas trivial erscheinen – ich (nicht-Statistikerin ) habe in meiner Forschungsarbeit (hauptsächlich qualitativ) unter anderem quantitative Daten im Rahmen von Fragebögen erhoben. Dabei handelt es sich um die Einschätzungen von Expert*innen auf dem Gebiet aus zwei Ländern, die Items auf einer fünfstufigen Likert-Skala nach ihrer Wünschbarkeit bewertet haben. Die teilnehmenden Expert*innen wurden nicht zufällig, sondern bewusst ausgewählt. Nun würde ich gerne die Bewertungen der Expertengruppe aus dem Land A (30 Personen) mit den Bewertungen der Expertengruppe aus dem Land B (17 Personen) vergleichen.

Nachdem ich viel gelesen habe, würde ich mich hier gerne noch einmal rückversichern: Dadurch, dass es sich bei meinem Sample nicht um eine zufällig ausgewählte Stichprobe handelt, kann ich weder parametrische, noch nicht-parametrischen Tests zum Vergleich der beiden Gruppen A und B anwenden, sehe ich das richtig?

Ich danke euch für eure Hilfe!

Liebe Grüße
Carina

[bele]

Hallo Carina,

das ist mehr eine philosophische Frage. Letztlich hast Du Dir die Experten aus Gruppe A ja nicht selbst gebacken. Es ist schon auch irgendwie ein Zufallsprozess, wer in diesem Land zu diesem Zeitpunkt als Experte für Dich zugänglich war. Es ist durchaus üblich, bei solchen "Gelegenheitsstichproben" (googlen!) statistische Tests, parametrische gleichermaßen wie nicht-parametrische, zu rechnen. Das Problem besteht darin, dass Du inhaltlich diskutieren musst, für welche Grundgesamtheit eine solche Gelegenheitsstichprobe repräsentativ ist und für welche nicht. Wenn Du eine Zufallsstichprobe aus dem Land A genommen hättest, wäre die repräsentativ für Land A. Du musst diskutieren, ob Dein Auswahlverfahren einen Bias bedingt oder eher nicht. Das kannst Du nicht rechnen, das musst Du inhaltlich abwägen. Als Ausrede um auf Teststatistik zu verzichten ist das nicht.

LG,
Bernhard

[Delphi2020]

Hallo Bernhard,

vielen Dank für deine schnelle, verständliche und hilfreiche Antwort. Danke auch für deinen Hinweis zur Gelegenheitsstichprobe, das ist mir bisher tatsächlich noch nicht untergekommen.

Konkret handelt es sich bei den Expert*innen in beiden Ländern um digital affine Lehrkräfte, die ein bestimmtes Fach unterrichten, die ich aufgrund ihrer Online-Aktivitäten in einem sozialen Netzwerk identifiziert und gezielt "rekrutiert" habe – heißt, ich würde hier eine Gelegenheitsstichprobe der Grundgesamtheit aller digital affinen Lehrkräfte des Faches abbilden – das klingt aber schon sehr schwammig? "Digital affin" kann ja alleine schon auf unzählige Arten und Weisen interpretiert werden...

Bisher habe ich versucht, die beiden Gruppen über Maßzahlen der deskriptiven Statistik zu vergleichen, natürlich wären aber etwas aussagekräftigere Ergebnisse toll.

Liebe Grüße
Carina

[bele]

Hallo Carina,

Gelegenheitsstichprobe der Grundgesamtheit aller digital affinen Lehrkräfte des Faches abbilden – das klingt aber schon sehr schwammig?

Ich bin auch digital affin aber mich findet man nicht gut in sozialen Netzwerken. Auch für die Gruppe der digital affinen Lehrkräfte dieses Faches hast Du wahrscheinlich keine repräsentative Stichgruppe sondern eine verzerrte. Der Trost liegt darin dass Du unterstellen kannst, dass die Verzerrung für A und B hoffentlich gleichartig ist.

Es gibt schon Gründe, warum Zufallsstichproben optimal sind. Wissenschaft ist aber immer auch auf die Machbarkeit von Studien angewiesen. Deine Stichprobengewinnung wird zu verzerrten Ergebnissen führen, aber manchmal sind verzerrte Ergebnisse besser als gar keine Ergebnisse.

Dafür wird es in Deiner Arbeit ein Kapitel "Diskussion" geben, wo Du unter anderem Gedanken über diese Probleme niederschreiben wirst. An dieser Stelle werden die, die Dich bewerten, erkennen ob Du nur Methoden gelernt, oder ob Du sie richtig verstanden hast.

LG,
Bernhard

[Delphi2020]

Hallo Bernhard,

genau in dem Diskussions-Kapitel stecke ich gerade Deshalb danke ich dir für deine Denkanstöße.

Ich habe schon vor einiger Zeit den Mann-Whitney U Test für den Vergleich der beiden Gruppen gerechnet, habe mich dann aber doch davon leiten lassen, wie ich zu meiner Stichprobe gekommen bin, und habe mich in der Ergebnisdarstellung und -interpretation dann eben dafür entschieden, mit den Ergebnissen der deskriptiven Statistik zu arbeiten. Nun werde ich aber doch nochmal einen Blick in die Auswertung mit Mann-Whitney U schauen.

Liebe Grüße
Carina

[bele]

Hallo Carina,

Die Interpretierbarkeit der beschreibenden Statistik leidet unter dem Problem der unklaren Generalisierbarkeit bei verzerrten Stichproben natürlich auch.

LG, Bernhard