Allgemeine Fragen zum Strukturgleichungsmodell

Allgemeine Fragen zum Strukturgleichungsmodell

Beitragvon Sghrn » Do 7. Feb 2013, 21:45

Hi, ich arbeite gerade an einem Projekt und verwende dafür u.a. Amos 20.
Zentraler Bestandteil ist ein Strukturgleichungsmodell, mit dem verschiedene Handlungsweisen erklärt werden sollen.
Allerdings sind Chi Quadrat und andere "Qualitätsindikatoren" viel zu hoch. Amos sagt zudem, das Model sei unidentifiziert und verlangt einen "additional Constraint".
Mein Sample ist leider ziemlich klein (ca.40), bin mir aber nicht sicher, ob es daran liegt.

Im Anhang befindet sich ein Bild von dem Exemplar.
Ich vermute mal, aus den Beschriftungen geht schon mehr oder weniger die Forschungsidee hervor.
Hab ich grundsätzliche Fehler gemacht? Hatte erst überlegt, ein formatives Modell zu entwerfen...

Danke für eure Hilfe/Aufmerksamkeit ;)
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Holgonaut » Sa 9. Feb 2013, 10:53

Hi,

erstmal ist N=40 definitiv zu klein um ein sinnvolles SEM zu rechnen. Maximum likelihood ist lediglich asymptotisch unverzerrt. Das heißt, du bekommst stark verzerrte Schätzungen.

Ich kenn mich mit Amos nicht so aus. Was mir aber auffällt:
a) die Ladungen sind alle 1. Warum das?
b) du hast eine single-Indikator-Variable (Empathie). Die ist nur identifiziert, wenn du den Messfehler fixierst (auf einen theoretisch plausiblen wert).
c) Die latenten Variblen mit 2 Indikatoren sind nur identifziert, wenn sie mit mind. einer anderen Variablen korrelieren
d) Deine abhängige Variablen hat eine Unmenge von Indikatoren. Das wird nicht funktionieren. Mach dir klar, was dieses Modell impliziert - nämlich das jede der unabhängigen Variablen
mit jeder Indikatoren der abhängigen NICHT korreliert, wenn du "ausmaß piraterie" statistisch kontrollierst und das alle Indikatoren von "ausmaß p." nicht korrelieren, wenn du ausmaß p. kontrollierst.
e) Überprüfe Dein Verständnis der Beziehungen zwischen jeder latenten Variable und ihren Indikatoren. Dein Modell sagt, dass die latenten Variablen die jeweilige gemeinsame Ursache der Indikatoren ist - kein Sammelbegriff oä. Das du den Begriff "formativ" verwendet lässt Zweifel daran aufkommen.

Grüße
Holger
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Sghrn » So 10. Feb 2013, 18:36

Vielen Dank für deine Antwort. Schön kritisch :)

Die Fallzahl ist inzwischen auf 60 gewachsen. Aber ich weiß, dass man damit bestenfalls wissenschaftliches Arbeiten "andeuten" kann.

a) Du sprichst vermutlich von den Ladungen zwischen den beobachteten und unbeobachteten Variablen, richtig? Ich hab mir das von einigen Beiträgen zum Regressionsgewicht etc angeeignet. Wenn mich nicht alles täuscht sollen damit die Skalen der Variablen definiert werden. Häufig wird pro unbeobachtete Variable auch nur einmal die Gewichtung angegeben. Bei den Residuen scheint das ja Standard zu sein. Was mich allerdings wundert, ist, dass die Ladungen dort (bei mir) nicht auf 1 liegen..(?)

b) Okay, ich hab den Einzelindikator jetzt mit einem geringeren Regressionsgewicht versehen. Ist das richtig so? Ich versteh auch nicht, warum man in das Varianzfeld bei der Error-Variable Benennungen (z.b. Alpha) reinschreibt. Hab ich da was missverstanden?

c) Meinst du mit latente Variablen die unbeobachteten? (Im anderen Fall: Hab schon öfter den Doppelpfeil hinter den beobachteten gesehen) Zwischen den unbeobachteten bestehen doch Korrelationen oder nicht? Ausserdem kann doch nicht davon ausgegangen werden, dass die beide zutreffen, oder? (Wenn das eine, dann auch das andere..?)

d) Ja, das bin ich just zuvor angegangen. :) Ich hab mich da jetzt eines Tricks bemächtigt, der mir gerade einefallen ist. Und zwar hab ich einfach den Mittelwert aus den Daten gebildet und in eine neue Variable gespeichert. Zudem hab ich auch die zwei Gruppen auf eine reduziert. Dort befindet sich nun tatsächlich nur noch eine beobachtete Variable.. Chi Quadrat ist jetzt btw auf 35 (noch bei n=40). ^^

e) Mein Konzept soll eigentlich darauf beruhen, dass es sich um "konkurrierende" Ansätze (Konstrukte) handelt, die im unterschiedlichen Maße dafür verantwortlich sind. Mir ist bis heute nicht ganz klar, worin der (praktische) Unterschied zwischen formativ und reflexiv letztlich bestehen soll, aber mir kommt es irgendwie logischer vor, den formativen Ansatz zu verwenden. (Andererseits ist es irgendwie auch theoretische Haarspalterei ob die latente Variable nun einzelne Indikatoren "verursacht" oder umgekehrt.. Falls ich das überhaupt verstanden hab.)

Naja, bin gespannt auf deine Antwort ^^
Danke nochmal für deine Hilfe, du bist Gol.. viele ECTS Punkte wert :P:D
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Holgonaut » So 10. Feb 2013, 21:11

Hi,

Die Fallzahl ist inzwischen auf 60 gewachsen. Aber ich weiß, dass man damit bestenfalls wissenschaftliches Arbeiten "andeuten" kann.


Auch das ist sehr dünn. Du musst Dein Modell radikal verkleinern. Nimm pro latenter Variable (ja das sind die unbeobachteten, weil latent=unbeobachtet, gelle) 2-3 Indikatoren.
Auch für die abhängige Variable (AV).

Ansonsten - sorry für den Seitenhieb - fehlt dir Grundwissen in nahezu jedem Bereich, der für ein SEM relevant ist, egal ob
#1 wissenschaftstheoretisch/philosophisch als auch
#2 methodisch/statistisch,
#3 SEM spezifisch und eben auch
#4 technisch was die Amos-Umsetzung anbelangt...

a) klar, nur hier gibt es Ladungen. Du musst EINE Ladung in einem Messmodell auf 1 fixieren - alle anderen bleiben frei und werden geschätzt. Die Pfade von den Fehlern sind deshalb eins, weil die Fehlervarianz 1:1 auf den Indikator einwirkt. Die latente Variable tut das eben nciht, sondern mit einem Effekt - und dessen höhe interessiert dich. Was den Rest anbelangt ("was mich wundert...), da musst du dir das Amos-Handbuch anschauen. Das Buch von Barbara Byrne ist auch auf Amos bezogen m.W. Dieser Punkt reflektiert #3. Schau dir mal das CFA-Buch von Timothy Brown an. Sehr leicht und schnell zu lesen.

b) Die Ladung des Einzelindikators wird auf 1 fixiert, die Messfehlervarianz auf einen plausiblen Wert, der % den angenommen Fehler an der Gesamt-Varianz angibt. Du kannst es dir auch einfach machen und ihn auf 0 fixieren. Das ist zwar Schwachsinn, aber nicht Dein größtes Problem.

c) Der Doppelpfeil ist eine Messfehlerkovarianz und bedeutet, dass die beiden Indikatoren auch dann noch korrelieren, wenn die latente Variable statistisch kontrolleirt wird (--> #3). Auch das steht im Brown-Buch.

d) versteh ich nicht.

e) versteh ich auch nicht. Deine Antwort reflektiert aber Lücken im Wissen über die Bedeutung von Konstrukten, Messmodellen oder Kausalmodellen insgesamt. Vor allem der Spruch mit der Haarspalterei zeigt das. Der Unterschied zwischen reflektiv oder formativ ist fundamental für die Bedeutung der latenten Variable, so wie du sie dir vorstellst und wie du ihre kausalen Effekte hypothetisierst. Ist es egal ob eine UV zu einer AV führt oder andersrum? Für mich ist das zentral für wissenschaftliches Arbeiten und Denken insgesamt. Stellst du dir deine AV nämlich als eine unbeobachtete singuläres Merkmal vor, dass existiert und Effekte auf andere Variablen hat (u.a. die Masse von Indikatoren) bedeutet das was völlig anders als wenn du sie als Summe all dieser Indikatoren interpretierst. Im ersten Fall machst du implizit die Aussage, dass sie überhaupt existiert - während dies im zweiten Fall nicht der Fall ist (weil DU als Schöpfer sie durch die Summierung quasi ins Leben rufst....

Schau dir mal folgende Artikel an:
Edwards, J. R., & Bagozzi, R. P. (2000). On the nature and direction of relationships between constructs and measures. Psychological Methods, 5(2), 155-174.

Borsboom, D. (2008). Psychometric perspectives on diagnostic systems. Journal of Clinical Psychology, 64(9), 1089-1108.

Podsakoff, P. M., MacKenzie, S. B., Podsakoff, N. P., & Lee, J.-Y. (2003). The mismeasure of man(agement) and its implications for leadership research. The Leadership Quarterly, 14, 615-656.

Grüße
Holger
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Sghrn » Mi 13. Feb 2013, 19:49

#1 wissenschaftstheoretisch/philosophisch als auch
#2 methodisch/statistisch,
#3 SEM spezifisch und eben auch
#4 technisch was die Amos-Umsetzung anbelangt...


Bin ja beeindruckt was du (,oder soll ich Sie sagen?) alles aus meinen Äusserungen entnehmen kannst :D
Ich hab mich durchaus intensiver mit dem Thema beschäftigt, nur das liegt bereits eine Weile zurück.
Mein Entwurf hat damals ne 1,3 im Methodenseminar bekommen, bei einem bekannten und anerkannten Prof.
Damals war es natürlich rein theoretisch und auch verhältnismäßig oberflächlich. Aber mir alle besagten Fähigkeiten abzusprechen ist m.E. selbst schon etwas defizitär.
Aber eigentlich gehts ja hauptsächlich um mein Modell. Ich geh einfach mal auf die Unverständlichkeiten ein.

d) Da zuviele Indikatoren bzgl. der latenten abhängigen Variable ("Ausmaß") vorliegen, hab ich diese durch den gemeinsamen Mittelwert auf einen Indikator reduziert. Ich habe gerade zufällig einen Artikel von Diamantopoulos und Riefler vorliegen, in dem das offenbar diskutiert wird. Zwar geht es dabei hauptsächlich darum, einen Artikel über formative und reflektive Ansätze von Albers und Hildebrandt zu kritsieren, dennoch stimmen sie ihnen bei Folgendem zu:
Albers und Hildebrandt (2006, S. 13) schlagen einen anderen Lösungsweg bei vorliegender Multikollinearität vor und empfehlen „Indikatoren zu einem Index zusammenzufassen
und dann den Index als Single-Item-Konstrukt in die Analyse einfließen zu lassen“. Konkret regen sie an, im Falle von (kollinearen) Indikatoren, die kompensatorische
Effekte darstellen, das arithmetische Mittel (nach Normalisierung) zu bilden und dieses für die Analyse zu verwenden. Im Falle von nicht-kompensatorischen Indikatoren soll
hingegen das geometrische Mittel (nach Normalisierung) verwendet werden. Auch wenn Albers und Hildebrandt (2006) keine detaillierte Erklärung geben, weshalb dieser Ansatz
besser ist als andere, stellt das Zusammenfassen kollinearer Indikatoren eine von mehreren möglichen Optionen dar, die in der Literatur für den Umgang mit Multikollinearität
in multiplen Regressionen vorgeschlagen werden.


e) Mal bitte nicht so dogmatisch. Es gibt unterschiedliche Ansätze zu dem Thema, die u.a. in dem eben zitierten Artikel genannt werden. Der Ausdruck Haarspalterei soll natürlich nicht den Eindruck erwecken, als hätten nicht beide Modelle ihre Berechtigung. Jedoch hat selbst die Wissenschaft ihre Probleme bei der Auswahl. Wenn ich z.B. Edwards und Bagozzi zitieren darf: „[l]ittle attention has been devoted to the conditions in which measures should be specified as reflective or formative in the first place." Edwards und Bagozzi (2000), S. 156.
Oder wie wärs mit Hulland?: „The choice between using formative or reflective indicators for a particular construct can at times be a difficult one to make." Hulland (1999), S. 201.

Eggert und Fassot empfehlen z.b. das formative Konzept, wenn „ein Messmodell entwickelt werden soll, das konkrete Ansatzpunkte zur Beeinflussung der latenten Variablen aufzeigt
und die relative Bedeutung der Konstruktdimensionen untereinander abschätzt."

In meinem Modell bleibt auf kausaler/logischer Ebene z.B. unklar, ob z.B. die "Erwartung des Bedankens" durch den Wunsch nach Anerkennung ausgelöst wird, oder ob ob das Erfahren des Danks selbst die Anerkennung ist. Letztlich könnte aber doch beides erklären, wie Internetpiraterie zustande kommt.
Bei formativen Modellen ist auch nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass sie "nicht existier[t]en". Es ist ja auch nicht unüblich, dass sie aus vorherigen Studien übernommen werden. Insofern ist die Behauptung, dieses Modell selbst zu generieren nicht von vornherein der Fall. Dass man im reflektiven Modell ebenso theoretisch herleiten muss, hilft dem Wissenschaftler übrigens auch nicht unbedingt aus der Schwebe... Nur weil ich etwas für wahr erkläre stimmt es doch nicht? Dass eine Variable unbeobachtet heisst, sagt ja auch nichts anderes aus, dass man sie zwar erwartet, aber (noch) nicht sehen kann. Das gilt für formativ wie reflektiv. Ich denke mit der Pfeilrichtung ist das meiste gesagt. Aber bei vielen Konstrukten und Begrifflichkeiten ist durchaus offen, welche Richtung man einschlagen sollte..

PS: Achja, bevor jetzt was zu den methodischen/praktischen Konsequenzen kommt. Die Unterschiede bei den Fehlerspezifikationen etc sind mir zumindest theoretisch bekannt.
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Sghrn » Do 14. Feb 2013, 15:57

Hier ist übrigens ein SGM von Dördrechter zu einem relativ ähnlichen Thema. Man sieht ebenfalls einen formativen sowie auch reflektiven Aufbau. Möglicherweise tret ich ja wieder ins Fettnäpfchen, aber wieso führt die latent exogene Variable ZU den Indikatoren. Eigentlich soll dort ebenfalls das Ausmaß von Piraterie gemessen werden. Aber würden nicht die Indikatoren (ähnlich wie meine) die Variable verursachen? Vermtutlich nein, weil das Ausmaß für den Wert der Indikatoren sorgt..
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Holgonaut » Sa 16. Feb 2013, 11:11

Hallo Sghrn,

erstmal entspann Dich mal :) Ich hab dir fehlendes Hintergrundwissen unterstellt, nicht dir "alle Fähigkeiten abgesprochen". Das war außerdem als Anregung und Kritik gemeint, nicht Angriff auf Deine Person. Daher kein Grund, so dünnhäutig zu reagieren. Ich kenn Dich und Deine Erfahrung natürlich nicht und kann nur das beurteilen, was du hier tust (Deine Modellspezifikation) und schreibst (v.a. der Satz mit der Haarspalterei). Du hast also das nötige Wissen, ok. Dann erscheint es aber halt seltsam, wie du Dein Modell so spezifizierst und so fundamentale Dinge wie die kausale Spezifikation (und darum geht es bei dem Unterschied zwischen reflektiv und formativ) als Haarspalterei bezeichnest. Und das hab ich (nach wie vor zurecht kritisiert).

Ich befürchte auch du hast meine Antwort zu Punkt e nicht verstanden. Woraus leitest du Dogmatismus hab? Es geht in einem Modell allgemein und bei Messmodellen im Spezifischen darum, dass du DEIN Verständnis von der Welt bzgl. der Variablen und ihrer kausalen Verknüpfung modellierst. Ich wäre jetzt versucht, mich zu wiederholen, deshalb kopier ich den zentralen Satz aus meiner Antwort einfach:
"Stellst du dir deine AV nämlich als eine unbeobachtete singuläres Merkmal vor, dass existiert und Effekte auf andere Variablen hat (u.a. die Masse von Indikatoren) bedeutet das was völlig anders als wenn du sie als Summe all dieser Indikatoren interpretierst. Im ersten Fall machst du implizit die Aussage, dass sie überhaupt existiert - während dies im zweiten Fall nicht der Fall ist (weil DU als Schöpfer sie durch die Summierung quasi ins Leben rufst...."

Und da war einfach ein Widerspruch: Wenn du "Ausmaß" als Summenindex *konzeptualisierst*, aber im Modell als reflektive Variable *spezifizierst*, ist das Modell einfach fundamental falsch. Die darin spezifizierte latente Ausmaß-Variable existiert überhaupt nicht (weil die Indikatoren keinen einzelnen zentralen common cause haben, der sie alle beeinflusst), oder sie existiert zwar, hat aber eine völlig andere Bedeutung. Und damit sind auch alle Effekte der Prädiktoren Murks. Und wenn du dann schreibst, dass du dich in den Folgen von Misspezifikationen auskennst, kann ich nicht kapieren, dass du das als Haarspalterei bezeichnest.

Und nochmal: Ich gebe keinen Weg vor (deshalb kein Dogmatismus), sondern sage nur, dass sich Leute Gedanken machen müssen, wie ihre Vorstellung von der Welt ist und diese exakt umsetzen und testen. Im übrigen machen das auch die Experten falsch. Ich war die letzten beiden Tage auf einer internationalen SEM-Tagung, da hört man schon einiges, was in die selbe problematische Richtung geht.

Wenn du jetzt einen Index aus allen Indikatoren bildest, ist das schon besser. Ich mach das im Zweifel auch so. Es gibt dabei nur eine Gefahr: Wenn du eine UV hast, die einen Effekt auf einen Index hat, dann ist ihr geschätzter Effekt der Mittelwert aller Beziehungen mit allen einzelnen Indikatoren. Das kann übel sein, wenn manche der Beziehungen niedrig oder null sind. Ich würd mir also die einzelnen Beziehungen mal angucken.

Dein quote von Albers und Hildebrandt bezieht sich glaub ich auf die Zusammenfassung von Prädiktoren in Regressionsmodellen, die ich hochproblematisch finde. Dies basiert auf dem fehlen einer realistischen Wissenschaftsorientierung (in der es darum geht, die kauslen Effekte von existierenden Phänomenen zu untersuchen), sondern wird häufig im Rahmen einer reinen auf Prädiktion ausgelegten Auffassung der Regressionsanalyse empfohlen. Aber: Wenn zwei Variablen (die auch wirklich zwei verschiedene Dinge sind) hoch korrelieren, bekommst du bei getrennter Modellierung dennoch unverzerrte Effekte (einzig die Standardfehler werden erhöht). Wenn du sie zusammenaddierst, bekommst du einen Mischmasch der Effekte.

Zur Quote von Hulland (meinst du Holland?): Es sind nicht die Indikatoren, die reflektiv oder formativ sind! Es ist die Struktur der Beziehungen. Ein Item wie "ich bin ordentlich bei der Arbeit" kann gleichzeitig eine reflektive Messung des traits Gewissenhaftigkeit sein oder ein formatives von job performance. Wieder: Es geht darum, sich zu fragen, um was für ein Konstrukt es sich handelt und wie
die Beziehung der Indikatoren zu DIESEM Konstrukt ist.

In diesem Zusammenhang war der Artikel von Wilcox et al. für mich echt ein eye-opener.
Wilcox, J. B., Howell, R. D., & Breivik, E. (2008). Questions about formative measurement. Journal of Business Research, 61, 1219-1228.
In der Literatur wurde über formative Konstrukte so viel Komisches Zeug geschrieben (allem voran von Diamantopolous), dass es sehr viel Verwirrung hierzug gibt. Es gibt auch noch einen schönen Artikel von Howell, Breivik und Wilcox, in dem sie das kritisieren:
Howell, R. D., Breivik, E., & Wilcox, J. B. (2007). Reconsidering formative measurement. Psychological Methods, 12(2), 205-218.

In meinem Modell bleibt auf kausaler/logischer Ebene z.B. unklar, ob z.B. die "Erwartung des Bedankens" durch den Wunsch nach Anerkennung ausgelöst wird, oder ob ob das Erfahren des Danks selbst die Anerkennung ist. Letztlich könnte aber doch beides erklären, wie Internetpiraterie zustande kommt.


In Querschnittsmodellen ist Kausalität meist unklar - dahingehend, dass es immer die Möglichkeiten für alternative Strukturen geben kann: Modelliere DEIN Verständnis und schau, ob es Evidenz dagegen gibt (misfit). Mehr kann man nicht tun.

In meinem Modell bleibt auf kausaler/logischer Ebene z.B. unklar, ob z.B. die "Erwartung des Bedankens" durch den Wunsch nach Anerkennung ausgelöst wird, oder ob ob das Erfahren des Danks selbst die Anerkennung ist. Letztlich könnte aber doch beides erklären, wie Internetpiraterie zustande kommt.


Hier kommen wir zu einem Kern der Konfussion. Wenn du das Konstrukt als *Summe der Teile" konzeptualisierst, dann existiiert dieses Konstrukt außerhalb dieser Bestimmung nicht, denn DU hast es durch die Definition, welche Teile dazu gehören ins Leben gerufen. Wenn du das Konstrukt modellierst, wie es Jahrzehnte in der Literatur gemacht wurde (mit den Indikatoren, die einen Effekt auf eine latente Variable haben und diese hat auch wieder Effekte auf andere outcomes), dann ist es kein formatives Konstrukt, sondern ein ganz gewöhnliches Kausalmodell mit Präditkroen (den "Indikatoren"), einem Mediator (der latenten Variablen) und AVs. Die latente Variable existiert hierbei und könnte auch durch reflektive Indikatoren gemessen werden (siehe Vorschlag von Howell et al.)

In der Literatur werden beide zusammen geworfen (v.a. von den Marketing-Leuten wie Diamantopoulus). D.h. man konzeptualisiert das Konstrukt als in Index (Summe der Teile), aber modelliert es als Kausalmodell.

Zu dem SEM von Dördrechter. Ich kann das natürlich nicht beurteilen. Es kommt wie gesagt auf die Formulierung der items an. Vielleicht hat er ja homogene und kongenerische (reflektive) Messungen von Ausmaß entwickelt? Denk an mein o.g. Beispiel zu job performance: Du könntest formative Items (ich vermeide hier den Begriff Indikator, weil er m.E. falsch ist) entwickeln, die sich auf Determinanten einer allgemeinen Einschätzung der eigenen performance beziehen (ich bin pünktlich, mache gute Produkte, halte deadlines etc.) und du könntest 3 reflektive entwickeln (ich leiste insgeamt gute Arbeit etc.) Letzteres könnte man als reflektives Modell modellieren, ersteres als formatives (oder am besten beide zusammen).

Abgesehen davon ist das Modell von Dördrechter seltsam: In dieser Form wäre es nicht identifiziert, weil die latente Variable im formativen part nur ein outcome hat (sie braucht mindestens 2)...

Ich hoffe, ich bin dir nicht wieder durch irgendwas zu Nahe getreten. Mein Ziel ist es, Deine teilweisen problematischen Auffassungen zu korrigieren und Dein Modell richtig zu spezifizieren. Und Deine Auffassungen sind eben v.a. auch dadurch problematisch, weil du sie aus der Literatur hast, die - wie oben beschrieben - selbst sehr unklar ist (um mal den Begriff Unfug zu vermeiden).

Ich hab das alles in Windeseile runtergeschrieben und hoffe, es war verständlich genug. Wenn nicht, klären wir das :)

Grüße
Holger
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Sghrn » So 17. Feb 2013, 19:42

Hallo Holger

..Und vielen Dank, dass du mir noch schreibst. ;)
Also, dieses erste Strukturgleichungsmodell ist zu einem großen Teil Konfusionen geschuldet, die im Zusammenhangen stehen mit unterschiedlicher Artikeln, Expertenmeinungen etc. (U.a. auch eine "Einweisung" durch einen Kommilitonen..)
In meiner theoretischen Arbeit zu dem Konzept schreib ich kurioserweise nur von einem formativen Modell, weil der Fall damals für mich klar war. Was ich hier also gepostet habe war nichts, was irgendwie so "rausgegangen" wäre. Im Gegenteil, es war Konfrontation auf Grund eigener Verunsicherung. ;)

Zum Fall Hulland/Holland: Ich meinte John Hullands "Use of Partial Least Squares (PLS) in Strategic Management Research: A
Review of Four Recent Studies", in: Strategic Management Journal, 20(2), S. 195-204.

Was meinst du bei Dördrechters Modell mit zwei Outcomes für die latente Variable? Das ist natürlich nur ein Schema, allerdings hätte ich jetzt trotzdem keinen Fehler gesehen.
Naja, wie dem auch sei, ich hab mein Modell auf formativ umgestellt und es funktioniert relativ gut. Den Index werd ich nochmal überprüfen. Wie du an meinem anfänglichen Modell gesehen hast, gab es zwei "Indikatorgruppen". Eine ("Häufigkeit") hab ich aber im Laufe der Umfrage aufgegeben um die Attraktivität der Umfrage zu erhöhen. Wäre natürlich nicht schlecht den zu haben, aber ich denke, dass die übrigen Indikatoren relativ homogen sind und die Größe "Dauer" das Ganze doch einigermaßen gut abdeckt.
Das Sample ist jetzt immerhin auf 110, d.h. ich muss sowieso wieder umstellen, wenn die Faktorenanalyse durch ist etc..

Naja, das wars erstmal
Grüße und Danke

erstmal entspann Dich mal :D

Hab ich ja *g*
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Holgonaut » So 17. Feb 2013, 19:59

Hi,

Was meinst du bei Dördrechters Modell mit zwei Outcomes für die latente Variable? Das ist natürlich nur ein Schema


Ok, aber ein Schema führt schnell zu Problemen, wenn Leute es umsetzen wollen. Also sollte es auch machbar sein. Bei einem formativen Modell (was wie gesagt, ein stinknormales SEM ist)
hängt die latente Variable quasi in der Luft. Weder ihr Fehlerterm noch der Effekt, der von ihr ausgeht, ist identifiziert, da jede latente Variable mind. 2 abhängige Variablen braucht,
die nicht korrelieren dürfen, wenn man die latente Variable auspartialisiert. Das können Indikatoren sein oder eben andere latente Variablen. Das Problem, dass bisher anscheinend nur ich zu sehen scheine,
ist dass die kausale Implikation dieses Modells oft unsinnig ist - eben dass die AVs nicht korrelieren. Ich hab ein formatives Modell vorgehabt, in dem ein formative Persönlichkeitseigenschaft (core self evaluations) Effekte auf a) job satisfaction, b) task performance und c) contextual performance hat. Damit (ich wiederhole mich) die CSE-Variable identifiziert ist, müssen die 3 outcomes unkorreliert sein, wenn CSE kontrolliert/auspartialisiert wird. Die Implikation ist, dass die Korrelationen dieser 3 outcomes einzig und allein durch CSE als *einzige gemeinsame Ursache* verursacht wurde. Das ist natürlich
Humbug. Also müssen Korrelationen der Fehlerterme dieser 3 outcomes reingenommen werden, die weitere (nicht im Modell befindlichen) gemeinsame Ursachen reflektieren. Damit kann das Modell nciht gerechnet werden. Schöne doofe Überraschung. Ich hab das dann so gelöst, dass der Fehlerterm von CSE auf 0 fixiert wurde und die Effekte seiner "kausalen Indikatoren" (4 zugrundeliegende traits) auf 1 fixiert wurden. Dies macht aus CSE einen reinen ungewichteten Summenindex, ähnlich einer Komponente in der Hauptkomponentenanalyse. Mal sehen, was die Reviewer dazu sagen ...

Wilcox et al listen noch weitere Probleme bei der Spezifikation von formativen Modellen auf. Sie ziehen das Fazit, das man immer auch reflektive Indikatoren mit reinnehmen sollte. Damit vermeidet man all diese Probleme. Als Beispiel haben sie den berühmten Fall von sozioökonomischem Status, der - ich sags wies ist - drei Ursachen hat (z.B. Bildung, Einkommen). Sie schlugen vor, soz.ök. Status zusätzlich durch reflektive items zu messen (z.B. das berühmte Leiter-item, wo eine Leiter abgebildet wird und die Leute sollen angeben, wo sie gesellschaftlich auf dieser stehen).

Zu PLS: Auweia. Das tool der Marketing Leute, um o.g. zu vermeiden. PLS stellt ähnlich der Hauptkomponentenanalyse Summenindizes her - die die Konzeption des Konstrukts als "Summe der Teile" widerspiegelt. Das kann man machen, aber ich finde halt, es ist eine sehr konstruktivistische Wissenschaftsauffassung. Man kriegt immer schöne Schätzungen und ein R-Quadrat, aber man beraubt sich der Fähigkeit, zu TESTEN, ob kausale Annahmen falsch sind.

Im übrigen ist mir aufgefallen, dass alle Deine Konstrukte formativ sind....Das heißt auch für die UVs musst du eine Lösung finden.

d.h. ich muss sowieso wieder umstellen, wenn die Faktorenanalyse durch ist etc..


Holla, was ist denn das? Was für eine Faktorenanalyse? Oder meinst du die Hauptkomponentenanalyse?

Grüße
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Re: Strukturgleichungsmodell (CFA) = Chi Quadrat zu hoch

Beitragvon Sghrn » So 17. Feb 2013, 23:08

Edit: Trotz Eskalationsgefahr hab ich das neue Modell mal in beiden Zuständen hochgeladen. シ
Normalerweise hab ich die Kovarianzen immer nur innerhalb jeweiligen Indikatorgruppe verwendet, bis mir aufgefallen ist, dass der jetzige Weg Chi Quadrat extrem verringert. Ist das unzulässig?

Wie man sieht ist das jetz ein formatives Modell, allerdings gibt es nur eine latente exogene Variable? Ist das zulässig? Wie siehts mit den Parametern aus? Insgesamt, was ist an dem Modell zu bemängeln?

Faktorenanalyse: Ja, richtig, Hauptfaktorenanalyse. Rotierte Komponentenmatrix als Grundlage meines neuen Modells.
Mit den neuen Samples sind die "Reliabilitätswerte" auch weiter angestiegen. Wer hätte das gedacht?

Der Hybrid aus formativen und reflektiven Modellen (MIMIC?) hat ja immer auch den Vorteil, dass dadurch eine Vergleichbarkeit über die Einzelstudie hinaus möglich ist und man insgesamt einen Referenzrahmen hat. Aber damit werde ich, zumindest momentan, wohl wenig zutun haben.

Also müssen Korrelationen der Fehlerterme dieser 3 outcomes reingenommen werden, die weitere (nicht im Modell befindlichen) gemeinsame Ursachen reflektieren. Damit kann das Modell nciht gerechnet werden.

Was meinst du damit genau? Wieso kann das nicht berechnet werden? Und wer reviewt das Ganze?
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